Arbeitsmarkt – Gerber: Wenn wir Arbeitskräfte wollen, müssen wir gute Arbeitsbedingungen liefern

Sehr geehrter Herr Präsident,
Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete,

wenn wir die klaffende demografische Lücke im Freistaat betrachten, betrifft das alle gesellschaftlichen Bereiche. Sie alle kennen sie zur Genüge. Zudem ist Fachkräftebedarf eine elementare Standortfrage der Wirtschaft.

Die Antwort der Große Anfrage leitet uns diese demografischen Zahlen nocheinmal klar verständlich her: Laut Antwort des Arbeits- und Wirtschaftsministeriums wird es in Sachsen bis 2035 allein aus Altersgründen im Mittel der Prognosen 210. 000 weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter geben. Das sagen die Zahlen des Statistischen Landesamtes.
UND hoffentlich dringen diese Zahlen damit auch bis in den letzten rechten Winkel dieses Hauses vor!

Das heißt NATÜRLICH, werte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, dass wir alle Strategien parallel fahren müssen, um die Abläufe im Land auf dem Niveau von heute aufrechtzuerhalten.
Denn die Potenziale aus dem Freistaat reichen nicht aus, demografischen Altersabgänge auszugleichen. Das heißt: Der Freistaat muss nachziehen. Wir haben einige Baustellen, die gilt es anzugehen. Wenn wir Arbeitskräfte wollen, müssen wir gute Arbeitsbedingungen liefern: Weiterhin ist der Freistaat Schlusslicht bei Tarifbindungen. Gute Werbung sieht anders aus.

Eine der Strategien heißt: Zuwanderung erleichtern, Weltoffenheit leben und Integration fördern.

Die Ampel hat nun ein Fachkräfte-Einwanderungsgesetz verabschiedet, das endlich seinen Namen verdient: Wir eröffnen für bereits hier lebende Menschen die Chancen des Spurwechsels. Wir erweitern die Möglichkeiten für internationale Fachkräfte, in unterschiedlichen Branchen zu arbeiten. Und wir erleichtern die Zuwanderung zur Berufsanerkennung.

„Make it in Germany“ – ob der Slogan jetzt global viral geht, bleibt abzuwarten… ABER: Es geht eine klare Botschaft davon aus:

Wir heißen euch willkommen! Die Bundesrepublik erkennt die Rolle als Einwanderungsland an und verabschiedet sich von einigen kräftezehrenden Hürden bei der Aufnahme internationaler Fachkräfte.

Für uns BÜNDNISGRÜNE ist bei der Fachkräfteeinwanderung und dem Diskurs um Zuwanderung der menschliche Aspekt ins Zentrum zu rücken. Langfristige Integration in den Arbeitsmarkt erfordert langfristige gesellschaftliche Integration von Mensch und Familie, über Generationen hinweg. Das beginnt mit interkultureller Bildung in der Kita. Und es erfordert von uns besondere Aufmerksamkeit bei der Berufsorientierung junger Menschen. Und ja, das erfordert auch Engagement bei der Integration am Arbeitsplatz, in zivilgesellschaftlichen Strukturen und in politischen Parteien!

Als BÜNDNISGRÜNE setzen wir den Fokus auf eine faire Einwanderungspolitik. Es gilt den Abzug von Wissensträger*innen in den Herkunftsländern, sogenannten Brain-Drain, zu verhindern sowie Ausbildungskapazitäten vor Ort auszubauen. Arbeitsrechtliche Begleitung muss in der Anwerbepraxis gewährleistet sein, um Ausbeutung zu verhindern.

Werte Damen und Herren,
es braucht in Sachsen eine echte Willkommenskultur. Zudem ist die Erleichterung von Anerkennungsprozessen internationaler Berufsabschlüsse notwendig. Dafür müssen wir auch im Freistaat eng mit den Anerkennungsstellen zusammenarbeiten.

Herr Ragnitz wird in Ihrer Großen Anfrage zitiert. Es sei gar nicht möglich, alle aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Arbeitskräfte durch Zuzug zu ersetzen. Ja, damit hat er recht, denn der Wettbewerb um Fach- und Arbeitskräfte gilt bereits europaweit.

Wir begegnen dem Fachkräftemangel daher auf mehreren Ebenen: Wir investieren in Bildung und Weiterbildung.

Denn wir müssen die Fachkräfte, die wir hier im Land haben, fit für die Zukunft machen. Dafür braucht es einen Bewusstseinswandel von Unternehmen und Behörden sowie Mitarbeitenden.

Das neue Weiterbildungsgesetz der Ampel bietet uns neue Möglichkeiten, um die Weiterbildung von Fachkräften in Sachsen zu stärken. Das Qualifizierungsgeld unterstützt die Wahrnehmung von Weiterbildungsangeboten insbesondere für kleine Betriebe und legt damit einen Grundstein für verbesserten Zugang zur beruflichen Weiterbildung.

Ein wichtiger Baustein, der uns in Sachsen noch fehlt, ist das Recht auf Bildungsfreistellung. Bildungsfreistellung kann die Attraktivität des Standortes Sachsen für Fachkräfte weiter stärken und trägt, wo sie bereits angeboten wird, zur Qualifizierung von Bürgerinnen und Bürgern bei.

Gleichzeitig muss die Abbruchquote in Schulen und Betrieben gesenkt werden. Fast 22 000 Menschen haben in Sachsen laut Statistischem Landesamt keinen Schulabschluss und rund 125 000 keinen Berufsabschluss. Es ist ein gemeinsames Anliegen, die berufliche Orientierung zu stärken und die Bedingungen für berufliche Bildung weiter zu verbessern.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
als weitere Säule ist die Vereinbarkeit von Familie und Arbeitsleben zu verbessern. 15 Prozent der sozialversichert beschäftigten Männer arbeiten in Teilzeitmodellen. Dem gegenüber stehen rund 52,5 Prozent der Frauen.

Es braucht weit mehr als Apelle, um Frauen gleichberechtigt am Arbeitsleben zu beteiligen. Um Vollzeit zu steigern, brauchen wir die richtigen Rahmenbedingungen! Wir müssen die infrastrukturellen Voraussetzungen sicherstellen: Wege von und zur Arbeitsstelle müssen in den Alltag integrierbar sein! Ein funktionierendes ÖPNV-Netz ist dafür unerlässlich. Auch die Abdeckung der Kinder- Betreuung kann insbesondere in den Randzeiten verbessert werden.

Darüber hinaus unterstützt das Sächsische Ministerium für Gleichstellung Frauen im ESF Programm „Gleichstellung im Erwerbsleben“ gezielt, wo geschlechtsbezogene Unterrepräsentation oder strukturelle Benachteiligung zu beobachten sind.

Wenn wir Frauen gewinnen wollen, länger zu arbeiten, brauchen Mütter, brauchen Frauen Lohngerechtigkeit. Bei gleicher Qualifizierung sind Frauen im Schnitt weiterhin um elf Prozent schlechter bezahlt. Hier wollen wir zu mehr Transparenz und Bewusstseinsbildung beitragen. Dauerbeschallung mit rechtem Genderwahn hilft da keinen Schritt weiter.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
die Größenordnung, durch Digitalisierung den sächsischen Arbeitsmarkt zu entlasten, lässt sich nicht seriös beziffern. Während einige Prozesse automatisiert werden können, steigt der Bedarf an Qualifikation und Wissensaufbau in Unternehmen und Verwaltung. Wir brauchen daher heute dringlich die strategische Weiterbildung von IT-Kräften, von Verwaltungsangestellten in Freistaat und Kommunen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir Fachkräfte wollen, müssen wir an all diese Baustellen ran – und unser Land attraktiv für alle machen.

Arbeit & Wirtschaft | | 06.07.2023

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