Nachhaltige Beschaffung – Liebscher: Wir brauchen einen kulturellen Wandel in unseren Vergabestellen

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,

es ist Zeit für eine Frischzellenkur der Beschaffungspraxis dieses Landes! Unsere Gesetzgebung ist überholt, landesweit sind die Personal-Strukturen dünn und auch die Digitalisierung muss ins Rollen kommen.

Wie wir alle wissen, arbeitet die Koalition an der Novellierung des Sächsischen Vergabegesetzes. Die neue Normsetzung ist überfällig: Unser Landes-Vergabegesetz ist an die geltende Bundesgesetzgebung anzupassen. Und unser Landes-Vergabegesetz ist zu modernisieren und an die Bedarfe unserer Zeit anzupassen.

Dabei ist die Regel so einfach wie einleuchtend: Öffentliche Gelder sind Steuermittel. Ihnen kommt daher eine Steuerungsfunktion zu. Die Ausgaben der öffentlichen Hand haben sich nach dem Wohle der Gemeinschaft zu richten.

Und hier, werte Kolleginnen und Kollegen, kommt die Beschaffungspraxis ins Spiel. Denn öffentliche Aufträge umfassen im bundesdeutschen Schnitt circa 19 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Ein neues Vergabegesetz hat also gesamtgesellschaftliche Zielsetzungen, wie zum Beispiel die gesetzliche Verpflichtung zur Dekarbonisierung oder die Tarifbindung.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
bei der Beschaffung sind alle Dimensionen der Nachhaltigkeit – das heißt Ökologie, Ökonomie und Soziales – einzubinden. Das ist nicht trivial! Insbesondere dann, wenn wir die dominierende Realität der Vergabestellen ernst nehmen. Viele sind aktuell personell und strukturell unterversorgt.

Ich möchte Ihnen kurz von einer ausgezeichneten Studie des Kompetenzzentrums für kommunale Infrastruktur Sachsen, kurz KOMKIS, berichten, die 2020 erschienen ist.
Bei der Betrachtung der Organisationsstrukturen unserer sächsischen Vergabestellen fällt Folgendes auf:

Eine überwiegende Mehrheit unserer kreisangehörigen Gemeinden hat nicht einmal ein Vollzeitäquivalent an Personal, um diese komplexen Verwaltungsvorgänge zu stemmen. Ganz zu schweigen von einer eigenen Vergabestelle. Ich zitiere: „Betrachtet man die Anzahl von Vergabeverfahren im Jahr 2017 für die Gemeindeebene im Bausektor (13.000) und im Dienstleistung- und Liefersektor (5.000), so kann man die fehlende personelle Ausstattung als bedenklich bis alarmierend bewerten.“

Der vorliegende Antrag der Linksfraktion unterstreicht die grundlegende Tatsache:
Unsere kommunalen Vergabestellen brauchen dringend Unterstützung. Denn personelle Engpässe in der Kommunalverwaltung sowie Informationsdefizite und rechtliche Unsicherheiten sind ganz gravierende Faktoren, die eine nachhaltige Praxis bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand verhindern.

Wir wollen Verwaltungsangestellte unterstützen, rechtssicher und nachhaltig zu vergeben und mutig voranzugehen. Wir wollen begleitende Maßnahmen stärken, wir brauchen Leitfaden und Produktblätter. Wir brauchen Schulungen und wir brauchen Informationsangebote, um die Verwaltungen zu begleiten.
Im Freistaat unterstützt die Auftragsberatungsstelle unsere Kommunen bereits bei der Durchführung von Vergaben, organisiert Fachtage und Austausch. Um aber echte Fortschritte im Bereich nachhaltiger Vergabepraxis zu machen, ist ein fokussiertes Angebot zu schaffen.

Als Koalitionsfraktionen haben wir uns daher im Doppelhaushalt für die Einrichtung von Beratungsstrukturen eingesetzt, um bei öffentlichen Ausschreibungen gezielt die Aspekte der Nachhaltigkeit zu stärken. Die Gelder sind bereits vorhanden und die Umsetzung im Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr.

Im Detail unterscheidet sich unser Ansatz an einigen Punkten vom vorliegenden Antrag:
So ist die Rechtsberatung von Kommunen nicht durch eine landeseigene Stelle umsetzbar. Als Koalitionsfraktionen legen wir Wert darauf, dass die Umsetzung rechtlich sauber vonstattengeht. Und als BÜNDNISGRÜNE sagen wir: Wo Probleme bestehen, müssen Lösungen erarbeitet werden.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
wir führen dafür Gespräche mit Beratungsstellen anderer Länder, wir führen Gespräche mit Vergabestellen und mit Expertinnen und Experten aus Sachsen. Der vorliegende Antrag nimmt die Ausgestaltung der Beratungsstrukturen bereits sehr ausführlich vorweg.
Da die Gespräche mit Praktikerinnen und Praktikern, Expertinnen und Experten gerade laufen, ist dem vorliegenden Antrag in der Folge nicht zuzustimmen.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
wir brauchen nicht weniger als einen kulturellen Wandel in unseren Vergabestellen:

Wirtschaftlich ist das, was unseren qualitativen Ansprüchen genügt.
Wirtschaftlich ist das, was nicht länger auf Kosten der kommenden Generationen geht.
Wirtschaftlich ist das, was die Kaufkraft von kleinen Einkommen stärkt und Fachkräfte durch Tarifbindung sichert.

Sachsen macht sich auf den Weg zur nachhaltigen Vergabe, der Dank gilt vielen Engagierten in den Vergabestellen und in der Beratung da draußen.

Vielen Dank.

Arbeit & Wirtschaft | | 26.04.2023

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